Rendez-vous mit Peter Behrens

Im folgenden wird ein Gespräch wieder gegeben, bei dem sich das in der Zukunft stattfindende Schaulabor mit dem 1940 verstorbenen Hamburger Architekten der Tabakfabrik, Peter Behrens, in der Gegenwart trifft, um sich gemeinsam – bei einem Glas Cognac und mehreren Zigarren der Marke „Britanica“ – Gedanken über die Zukunft des Leerstands zu machen.
Folgend ein Ausschnitt:

Grafik: Clemens Bauder/Lorenz Potocnik 2010, Fotobearbeitung Hofherr Zigarettenpackmaschine Modell Universelle EG, Abb. 101 in „Die Neubauten und Betriebseinrichtungen der Tabakfabrik in Linz“ R. Kiesel, Salzburg 1936

Grafik: Clemens Bauder/Lorenz Potocnik 2010

Schaulabor:
Herr Behrens, wir freuen uns besonders, gerade Sie hier bei uns im Schaulabor begrüßen zu dürfen. Das Gebäude, in dem wir sitzen, kennen Sie ja bestens. Am Weg hierher in den 4. Stock haben Sie uns bereits verraten, dass es zu einem ihrer bevorzugten Werke auf ihrem langen Schaffensweg gehört, auch wenn – oder gerade weil – es architekturgeschichtlich bislang bei weitem nicht so rezipiert wurde wie andere bekannte Bauwerke von ihnen für die AEG oder HOECHST in Deutschland oder die Botschaft in St. Petersburg. Aber das ist nicht unser Thema heute. Vielmehr wollen wir über die Zukunft der ehemaligen Austria Tabakwerke sprechen. Wie Sie wissen, wurde das Werk vor kurzem geschlossen. Paradoxerweise war gerade der Wert ihrer Architektur und der damit verbundene Denkmalschutz eines der offiziellen Argumente, die Produktion zu verlagern. Aber dazu später.

Wir von der umbauwerkstatt-ATW verstehen das gesamte Bauwerk als Juwel inmitten der Stadt und sind überzeugt, dass es – obwohl beinahe zu groß für Linz – eine einmalige Jahrhundertchance der innerstädtischen Entwicklung und des Städtebaus insgesamt dastellt. Naturgemäß kann viel von dem, was zur Entwicklung eines solchen Areals nötig ist, nicht zur Gänze aus der städtischen Politik und Verwaltung selbst kommen. Nun, unsere erste Frage dürfte Sie nicht verwundern, es ist die Frage, die sich alle stellen, welcher neuen Nutzung könnte die Tabakfabrik zugeführt werden, welche können Sie sich ganz persönlich für ihr Bauwerk vorstellen?

Behrens:
Meine Herren, danke für die Einladung. Wie Sie sich denken können, war ich schon lange nicht mehr hier, in Linz und in diesem von mir geplanten Gebäude. Gleich vorweg, das mit dem Denkmalschutz ist so eine Sache, nicht? Einerseits ist es wunderbar, wenn wertvolle Bauwerke geschützt werden, andererseits wird es dadurch unmöglich, substanzielle Änderungen vorzunehmen. Ich meine, der alte Bau aus dem 17. Jahrhundert, die frühere Linzer Wollzeug- und Teppichfabrik und spätere alte Tabakfabrik, hatte aus architektonischer Sicht auch einiges für sich, aber niemand hätte sich damals aus Denkmalschutzgründen gegen den Neubau ausgesprochen. Denkmalschutz für einen Industriebau – undenkbar! Man war im Gegenteil trotz der Wirtschaftskrise 1929 erpicht auf einen Neubau und die Tabakfabrik war ja zur damaligen Zeit in ihrer Ausdehnung und in ihrer Einrichtung das modernste Fabrikgebäude dieser Art in Mitteleuropa. Aber die Zeiten haben sich geändert, der Denkmalschutz scheint wichtiger geworden zu sein.

Alexander (Anm.: Alexander Popp, Architekt und Partner von Behrens beim Bau der Tabakfabrik) und ich haben beim Bau der Fabrik ja vieles nicht gewusst. Insbesondere die Größe der Produktion, die damaligen, neuen Technologien und der enorme Zeitdruck haben es uns verunmöglicht, schon beim Entwickeln der Gebäudestruktur über die genauen Produktionsabläufe Bescheid zu wissen. Wir sind dieser Problematik begegnet, indem wir die Struktur überdimensioniert haben. Wenn ich mich recht entsinne, haben wir mit bis zu 1.000 kg pro Quadratmeter Belastung gerechnet, wir haben einen sehr offenen und robusten Grundriss geschaffen und großen Wert auf die Belichtung gelegt – alle Geschosse sind natürlich belichtet. Nicht zuletzt – damals in den 1920er-Jahren eine Innovation – sahen wir großzügige, vertikale Leitungsschächte bei jedem Fenster vor. So konnten wir auch im Nachhinein eine hohe Flexibilität bei der Anordnung der sich über die Jahre verändernden Produktion gewährleisten. Uns war immer wichtig, dass ein Planen vor allem aus dem Grund geschehen sollte, sich die Entwicklung für die weitere Zukunft nicht zu verbauen und Hand in Hand mit der beabsichtigten Nutzung zu gehen – Plan lernt von Projekt gewissermaßen. Abgesehen davon haben wir insgesamt auf sehr hohe Qualität geachtet, das sieht man ja noch heute. Es steht fast alles noch da wie gestern. Wunderbar!

Nun, ich erzähle das alles, weil Sie mich nach einer möglichen neuen Nutzung für das Areal gefragt haben. Grundsätzlich wäre ich der erste, der für einen Neubau plädieren würde. Vielleicht könnte ein Gebäudekomplex für die prosperierende Öko-Wirtschaft entstehen – Sie wissen schon, diese sauberen Technologien von denen damals niemand gesprochen hat. Der Komplex könnte allen energietechnologischen Standards über die Maßen entsprechen und zu einem europäischen Vorzeigeprojekt im postfossilen Zeitalter werden. Die Forschung dazu gibt es ja in Linz. Aber der Denkmalschutz, ich weiß! Sehen Sie, eigentlich ist – etwas provokant geäußert – dank der beschriebenen Voraussicht und der Robustheit und Qualität der Architektur prinzipiell alles möglich. Stellen Sie sich ruhig einen Wohnbau vor. Wollen Sie nicht auch hier wohnen? Oder eine Universität. Das ginge recht einfach. Sie arbeiten ja auch schon in einer forschenden Situation hier. Sie sagen, Sie betreiben ein Labor, ja? Nun, eine Universität ist ein Labor.

Und erst die Lage, auch das lässt alle Szenarien zu, nicht? Vor 75 Jahren war hier der Rand der Stadt und praktisch alles Industriegebiet und Landwirtschaft. Jetzt befinden wir uns in einer schicken Wohngegend mit Park vor der Türe und Museum und Musik gleich nebenan. Wunderbar!

Schaulabor:
Ist tatsächlich wunderbar. Das sehen wir genauso. Vielleicht dürfen wir hier kurz einhaken. Diese von Ihnen angesprochene Bandbreite der Nutzungen ist uns ein großes Anliegen. Wir vertreten bisher den Standpunkt, dass es zur Zeit vor allem darauf ankommt, den Transformationsprozess möglichst gut zu planen und zu entwerfen, das heißt noch gar nicht zu sehr auf eine konkrete Nutzung zu fokussieren, oder wenn Sie so wollen, einen „Endzustand“ anzustreben, sondern viel mehr die Entwicklung und den Prozess bis dahin bestmöglich zu gestalten. Genau das hat das Schaulabor auch zum Ziel, das auf diesen Leerstand zugeschnittene Planungsverständis in Linz zu schaffen.

Behrens:
Ja, ich verstehe. Es ist doch oft so, dass wir Architekten keine vernünftige Aufgabenstellung bekommen und das Herauskristallisieren des Ziels und das Finden der richtigen Methoden einen wesentlichen Bestandteil der Aufgabe darstellen. Wissen Sie, mich haben immer die Probleme interessiert. Das Selbstverständliche sollten wir den anderen überlassen. Wesentlich ist dabei immer, die Zukunft zu erspüren.

Schaulabor:
Dort wollten wir gerade hin. Seit den 1970er-Jahren sind die westlichen Industriestaaten einem grundlegenden Wandel unterworfen. Die Industrie, deren Blütezeit Sie erlebt haben – ihre Meisterwerke wären ja ohne dieser industriellen Dynamik gar nicht entstanden – ist in Europa und Amerika nicht mehr der Wirschaftsmotor, der er einmal war. Heute erfolgt die Wertschöpfung in erster Linie über Dienstleistungen aller Art, insbesondere über wissens- und kreativitätsbezogene Dienstleistungen. Es sind auch zahlreiche, vollkommen neue Berufe entstanden und selbstverständlich hat sich auch der Beruf der ArchitektInnen enorm verändert. Auch Linz hat in den letzten Jahren Schritte in diese Richtung unternommen, nach dem Auf- und Ausbau zur Kulturstadt das gesamte kreative Potenzial der Stadt zu erkennen und sich auf den Weg zu einer „Creative City“ zu begeben.

Behrens:
Wissen Sie, diese Idee einer „Creative City“ erinnert mich frappant an meine Zeit als junger Künstler und die damals von Großherzog Ernst Ludwig von Hessen ins Leben gerufene Künstlerkolonie auf der Mathildenhöhe in Darmstadt. Das war 1899. Unter dem Leitspruch „Mein Hessenland blühe und in ihm die Kunst“ hat der Grossherzog sehr visionär Künstler – heute würden sie vielleicht sagen: Kreative – aller Disziplinen vereint und gefördert. Gerade aus der Verbindung von Kunst und Handwerk entstanden neuzeitliche und zukunftsweisende Bau- und Wohnformen. Dort waren ja auch Olbricht, Bosselt und Christiansen. Ich selbst war damals Maler und Graphiker und habe dann als Autodidakt begonnen, mich mit Architektur zu beschäftigen. Ich war 31 Jahre alt und diese Kolonie war ein sehr fruchtbarer Boden. Dort habe ich meine Berufung zur Architektur und zum Gesamtkunstwerk begriffen. Alles, was danach gekommen ist, mein eigenes Büro mit Mitarbeitern wie Gropius, van der Rohe oder Le Corbusier und die zahlreichen Bauten, wären sonst nicht denkbar gewesen.

Diese von Ihnen betriebene Diskussion über die Nachnutzung der Tabakfabrik, über die möglichen Szenarien, vor allem aber über die bestmögliche Gestaltung des Umbauprozesses, interessiert mich sehr. Denken Sie auch über eine zielführende Zwischennutzung nach. Sie haben ja das Beispiel aus Amsterdam angeführt. Die jungen ErfinderInnen brauchen Unterstützung. Warum nicht einfach die hundert Besten aus den Nachbarländern einladen für ein Jahr? Bis eine feste Nutzung – zumindest teilweise – feststeht, kann das eine gute Antwort auf Ihre eingangs gestellte Frage sein! Wie kann ich Ihnen sonst noch bei Ihrer Initiative, Ihrer Werkstatt, behilflich sein?

Schaulabor:
Sie können uns ganz persönlich helfen: Was halten Sie davon, wenn wir zu aller erst Ihrem Namen in Verbindung mit dem Areal zu einer Art Marke für Linz verhelfen? Die Tabakfabrik könnte so in Zukunft auch international gebrandet werden, genauso wie Sie als einer der ersten eine umfassende Unternehmenserscheinung – heute sagen wir Corporate Design – für die AEG oder HOECHST entworfen haben. Also aufbauend auf der Architektur, dem Design, ihrer Typografie ließe sich so vorab eine Art Zukunftsfabrik entwickeln.

Behrens:
Gerne, nur zu, meine Herren. Behrens for Linz oder besser Behrens for umbauwerkstatt ATW, nicht? Sie müssten sich da eventuell mit meinen Nachfahren besprechen. Aber in dieser Phase der Entwicklung wird das noch nicht notwendig sein.

Schaulabor:
Dann würden wir Sie darüber hinaus gerne als erfahrenen Berater engagieren. Vielleicht hätten Sie jetzt schon einen Tipp parat, wie aus Ihrer Sicht ein derartiges Schaulabor allgemein funktionieren sollte?

Behrens:
Nun, im Grunde muss es als interdisziplinärer Think Tank operieren. In ihm vermischen sich Denken, Diskutieren, Planen, Schreiben, Visualisieren und Archivieren über die möglichen Entwicklungslinien dieses Gebäudes und des Areals. Das Schaulabor ist ein Ort des Wissens über die Tabakfabrik und sollte dazu dienen, Entscheidungen vorzubereiten und die Folgen denkbarer Entscheidungen abzuschätzen. Es ist eine Vorbereitungsmaschine für die Zukunft, wenn Sie so wollen. Sicherlich ist es auch wichtig – Sie haben das schon anklingen lassen , PolitikerInnen und ExpertInnen an einen Tisch zu bringen. Das scheint mir wesentlich, um einen lebendigen gemeinsamen Wissenstand zu schaffen. Gerade der Hinweis, dass – in Anbetracht der Größe und Komplexität des Vorhabens – so eine Entwicklung mit Auswirkung auf die gesamte Stadt nicht von heute auf morgen, also sicherlich in mehreren Jahren und am besten in Etappen zu schaffen ist, sollte Ihnen ein Anliegen sein. PolitikerInnen wollen meist schnell agieren, brauchen verwertbare Ergebnisse, das steht etwas im Widerspruch zu langfristigen Überlegungen. Denken Sie daran! Als ExpertInnen müssen wir da fein an den Rädern der großen Maschine drehen.

Schaulabor:
Das hört sich gut an. Zu guter Letzt möchten wir Sie noch einladen bei unserem großen Eröffnungssymposium  im Herbst diesen Jahres als Gastredner aufzutreten. Es wäre wunderbar, so mit Ihnen den Bogen aus der Vergangenheit in die Zukunft des Bauwerks zu spannen.

Behrens:
Selbstverständlich. Am besten regeln Sie alles weitere mit meiner treuen Sekretärin, Frau Frankel, in Berlin. Sie müssen entschuldigen, aber ein Blick auf die große Uhr dort oben verrät mir, dass ich mich nun etwas beeilen muss. Ich bin noch mit einer Museumsdirektorin und ihrer Kuratorin in der k.u.k. Hofbäckerei verabredet.

Schaulabor:
Herr Behrens, wir danken für das freundschaftliche Gespräch.

Im Rahmen der Ausstellung Tabakfabrik Linz. Kunst, Architektur, Arbeitswelt im Nordico wurde das Interview als Hörstück realisiert.

Ein Rendez-vous mit Peter Behrens

Dauer: 14:30

Idee: Lorenz Potocnik / Thomas Philipp / umbauwerkstatt ATW / afo
Stimmen: Lea Barth und Joachim Hinsch.

Grafik: Clemens Bauder/Lorenz Potocnik 2010,

Grafik: Clemens Bauder/Lorenz Potocnik 2010,