Prozesse in den Mittelpunkt
12. Februar 2011 von Stefan GrohKommentierenEmpfehlen„Sollte es einen neuen Urbanismus geben, dann wird sich dieser nicht auf die Zwillingsphantasien von Ordnung und Omnipotenz stützen; er wird Unsicherheit stiften; er wird sich nicht länger mit der Planung mehr oder weniger dauerhafter Objekte befassen, sondern bestimmte Areale mit all dem düngen, was möglich sein könnte; er wird nicht mehr auf feste Strukturen zielen, sondern auf die Bereitstellung von Möglichkeitsfeldern für Prozesse, die sich dagegen sträuben, eine endgültige Form anzunehmen.“
Wie Rem Koolhaas in seinem Essay „What ever happened to urbanism?“ bereits 1994 feststellt, wird in der heutigen Architektur- und Stadtproduktion immer mehr zur Aufgabe Möglichkeitsräume zu planen, um flexibel auf mögliche Anforderungen der Zukunft vorbereitet zu sein oder Bestehendes auf prozesshafte Weise wieder zu neuem Erfolg zu führen. Er beschwört einen neuen Urbanismus, der nicht innerhalb eines starren Regelwerks agiert, sondern improvisiert, vielseitig und veränderbar ist.
Koolhaas spricht in diesem Zusammenhang von einer New Newness, einer Neudefiniton, basierend auf einer Guerilla-Taktik, die sich mit der unausweichlichen Zukunft der Stadt auseinandersetzt.
Permanente Temporarität
Immer noch ist ein Großteil der Bautätigkeit geprägt durch Einzelakteure, erpicht darauf, ihre persönlichen Ziele, gepaart mit enormen Gewinnerwartungen, unverrückbar in Beton und Stein durchzusetzen. Mit dem Ergebnis, dass die Stadt streckenweise vielmehr einem kommerziellen insulären Vergnügungspark gleicht, als einer gemeinschaftlichen, durchmischten Stadt. Dagegen stechen einige “temporär” angelegt Projekte immer wieder hervor, da sie durch Einfallsreichtum hohe Flexibilität, große Nutzungsvielfalt, sowie eine Dynamik entwickeln, die in der Lage ist, ganze städtische Quartiere dauerhaft zu verändern und der Stadt eine lokale Identität wiedergeben. Diese basieren jedoch oft paradoxerweise auf geringen finanziellen und baulichen Investitionen/ Interventionen.
17 Jahre nach S,M,L,XL bringt Christian Kühn dies im Artikel „Adieu, Avantgarde“ (die Presse, 21.01.2011) nochmals auf den Punkt:
“Die Avantgarden des 20. Jahrhunderts verstanden sich immer als künstlerischer Teil gesellschaftlicher Bewegungen, als kriegerisches Ende der Kunst, das ohne Rücksicht auf Verluste einer Sache dient, deren Schwerpunkt außerhalb der Kunst liegt. (…) Die kommende Architektengeneration steht vor der Aufgabe, beim Bauen nicht das Objekt, sondern den Prozess in den Mittelpunkt zu stellen (..) Liebe zum Kurzfristigen und Geschick im Umgang mit dem Zufall ebenso wie einen langen Atem in der Verfolgung von Zielen, deren Erreichung vielleicht erst ihre Urenkel erleben dürfen. Sie wird die Geduld und Ausdauer von Gärtnern mit der Präzision von Raumfahrtingenieuren vereinen müssen.”