Medizinuni in die Tabakfabrik? – In einer zweiten Stadtebene?
10. August 2012 von Stefan GrohKommentierenEmpfehlenSchon seit 1996 gibt es Pläne für eine medizinische Fakultät in Linz, mit der der gerade in Oberösterreich steigendende Bedarf an Medizinern flächendeckend gesichert werden soll. Im April wurden im Zuge der Initiative „Ärzte für Oberösterreich“ 136.000 Unterschriften mit der Forderung nach einer Medizin-Universität an die Bundesregierung übergeben. Die SPÖ spricht von einem Gebot der Stunde und auch die Gebietskrankenkasse stellt nicht mehr die Frage ob, sondern nur noch wie eine solche Universität realisiert wird und fordert inhaltlich etwas „fundamental Neues“.
Und immer wieder wird die Tabakfabrik als möglicher Standort gehandelt.
Pauhof hat im letzten Semester ihre Gastprofessur an der TU Wien genutzt, genau diese Überlegungen in einer „zweiten Stadtebene“ unter dem Titel Architekturen für die Multitude durchzuspielen.
„Globalisierungsbewegungen generieren neue Stadtagglomerationen, multikulturell, unter ständigem Transformationszwang. Die daraus resultierenden komplexen urbanen Verdichtungsphänomene erfordern eine Entwurfsmethode, die über die partielle Aufgabe der architektonischen Konditionierung eines Raumprogramms hinausreicht und gegebenenfalls das Stadtganze mitreflektiert. Es wird daher bei diesem Entwerfen kein Bauplatz mit dem gewohnten Kontext vorgegeben. Offeriert werden hingegen vorgedachte, hypothetische urbane Strukturen in der zweiten Stadtebene. Die von den Studierenden zu entwickelnden Architekturen für die Multitude sind dann in diese abgehobene Stadtstruktur zu integrieren und sollen gleichzeitig im Dialog mit dem Bestand auf der ersten Stadtebene funktionieren.
Bei aller Vorsicht beim Umgang mit der Bausubstanz von Peter Behrens und Alexander Popp wird man über eine Öffnung des Areals nachdenken müssen. Die Idee der Ausdehnung in den umgebenden Stadtraum darf nicht gegen eine notwendige Aufteilung in kleinere Funktionseinheiten ausgespielt werden. Differenzierte Zugangs- und Durchgangserfordernisse bedingen zusätzliche horizontale Bauvolumen, die in der Lage sind Erschließungsmöglichkeiten über dem Stadtniveau zu übernehmen, ohne dass es dadurch zu einer Beeinträchtigung der architektonischen Substanz auf dem Areal kommt. Der westliche Bereich hat sich zur Innenstadt hin zu öffnen. Präzise platzierte vertikale Volumen im Verbund mit der über den bestehenden ATW Block hinauskragenden Platte hätten Signalcharakter für eine neue Urbanität.“
Download Gesamtprogramm Gastprofessur_pauhof
umbauwerkstatt hat das Entwerfen an der TU Wien mit einer Führung durch die Tabakfabrik und zwei Gastkritiken unterstützt.
Yann Schleipfner:
Charakteristisch, sogar verblüffend bei diesem Projekt ist die scheinbare Kontinuität zwischen den bestehenden Bauvolumen und dem Erweiterungstrakt. Trotz der gestalterischen Ausgewogenheit der beiden gekrümmten Trakte mit den prägenden Bandfenstern entsteht eine völlig veränderte stadträumliche Situation mit neuen Richtungsverweisen. Eine ganz spezifische Dynamik, aber auch Öffnung bewirkt die Durchdringung des Ensembles mittels eines gegenläufigen Erschließungsbandes in der zweiten Stadtebene, das in Verbindung mit der Eisenbahnbrücke bzw. mit der City-S-Bahn eine neue städtebauliche Dimension generiert. (Text: pauhof)
Miroslav Malinovic:
Der elegante, 230 m lange, leicht geschwungene Produktionstrakt an der Ludlgasse erhält eine zusätzliche Dimension, indem das zweite Obergeschoss zu einer öffentlichen, inneren Verbindungsstrasse (mit begleitenden Läden, Infrastruktureinrichtungen, …) zwischen der vordefinierten City-S-Bahn und der neuen Universität transformiert wird. Nicht unwesentlich für die Qualität des Entwurfes ist daher diese eine überzeugende gestalterische/funktionelle Verschränkung der beiden Stadtebenen aber auch jene von alt/neu an der Südecke des Gesamtensembles. Zum Donaupark hin wird dagegen der Baublock stärker geöffnet, er verweist damit stärker auf seine nun öffentliche Stadtfunktion und lässt das expressive, einzig wirklich skulpturale Volumen stärker hervortreten. (Text: pauhof)
Christoph Fehringer, Alexander Greil:
Die Medizinische Universität Linz ist als Ergänzung zum ATW Komplex in Form eines lebendigen Campus organisiert, der einer klaren orthogenalen Matrix folgt, zu den hochwertigen Behrensarchitekturen hin anschlussfähig bleibt und daher zukünftige Ausdehnungen in den Bestand hinein erlaubt. Implizierte offene Volumen, verteilt über den gesamten Neubau, verweisen sowohl auf den Öffentlichkeitsbezug einer Universität als auch auf die Möglichkeiten der zweiten Stadtebene. Genauer zu definieren wäre bei diesem Projekt allerdings noch die Vernetzung dieser halböffentlichen Ebene mit der vorgegebenen, die erste Stadtebene überbrückenden City-S-Bahn-Linz. (Text: pauhof)
Download Präsentationsplakat : Christoph Fehringer, Alexander Greil
Martin Zisterer:
Aufgrund infrastruktureller Überlegungen entsteht eine zweite Stadtebene, welche die spezielle Situation von Linz und der Tabakfabrik in einen urbanen Stadtteil mit nachhaltigen Überlegungen für zukünftige Entwicklungen transformiert. Im Gegensatz zu aktuellen Entwicklungen, wird bei diesem Projekt die Universität radikal als öffentliche Einrichtung gedacht und als wichtiger Bestandteil einer modernen Gesellschaft gesehen. Ziel ist ein transparenter Bildungs- und Wissenschaftsbetrieb der direkt in der Stadt verhaftet ist. (Text: Martin Zisterer)
Download Projekt-pdf: Martin Zisterer_In der Zweiten Stadtebene