Industriebauseminar „Refurbishment“ an der TU Wien
21. Mai 2011 von Lorenz PotocnikKommentierenEmpfehlenDas 20. internationale Industriebauseminar an der TU Wien widmete sich vom 18.–20. Mai dem Thema „Refurbished Future“.
Am zweiten Tag sprach Lorenz Potocnik über den aktuellen Stand der Initiative umbauwerkstatt:
Es ist mir eine Freude heute und hier von der Tabakfabrik in Linz sprechen zu können. Im Zuge der letzten 18 Monate bin ich so etwas wie ein informeller Botschafter und Lobbyist geworden für das international erstaunlich wenig bekannte Juwel und die entsprechend notwendige, qualitätsvolle Transformation und Entwicklung des Bauwerks. Die Tabakfabrik ist – im Gegensatz zu ihrem Wert – von den ehemaligen Besitzern – den Austria Tabak Werken – ich möchte fast sagen versteckt, zumindest nicht als Ikone oder herausragender Industriebau gehandelt worden und demnach international praktisch unbekannt also noch so etwas wie ein „Geheimtipp“.
Hier möchte ich auch ein Kompliment an Sie Herr Achammer und ihr Team aussprechen: Nicht nur, dass mir das Thema des Seminars insgesamt goldrichtig erscheint, sondern darüber hinaus ist meines Erachtens das Neunutzen des Bestandes auch der grösste Beitrag zu einer holistischen Nachhaltigkeit, die das Bauwesen – also wir Planende – leisten können. Ich glaube auch, dass das Seminar in seiner Breite und Transdisziplinarität schon einen wichtigen methodischen Zugang aufzeigt und damit einen Schlüssel zum Erfolg beinhaltet.
Nun stehe ich vor der Herausforderung, ihnen die Komplexität der Geschichte, auch der letzten Jahre seit dem Leerstand und der Arbeit von umbauwerkstatt in aller Kürze zu vermitteln. Um welche Disziplin handelt es sich eigentlich, wenn die Planung einer so großen Industriebrache inmitten der Stadt geplant wird? Wir haben hier eine Begriffswolke vor uns, bestehend aus Refurbishment, Retrofitting, post-industriell, innerstädtischen Brachen (sogenannten brown fields, die aus einem globalen Strukturwandel heraus entstehen und Flächen ehemaliger militärischer Areale, Rangiergelände von Bahnhöfen, Produktionsstätten, Administration aber auch der Kirche beinhalten. Kunibert Wachten hat dies ja schon brilliant Mitte der 90er Jahre hier an der TU Wien erläutert). Schonen der Resourcen, und der schon besprochenen Bruchlinien… Es geht natürlich auch oft um Denkmalschutz und kulturelles Erbe und auch um die Art und Weise, wie Stadtplanung vonstatten geht, sprich dem Paradigmenwechsel in der Planung überhaupt. Demzufolge geht es auch darum, wer die Stadt baut und wie die Stadt gebaut wird. Und für mich bedeutet das in Wirklichkeit die Frage, wie – im sich wandelnden Stadtentwicklungsprozess – echte und für unsere Demokratie so lebensnotwendige Beteiligung stattfinden kann?
Ich denke ich wurde eingeladen, weil die umbauwerkstatt eine zivilgesellschaftliche Initiative ist und daher ihren Schwerpunkt auf den Prozess des zukünftigen Umbaus der Tabakfabrik gesetzt hat. Dieser aktivistische Charakter der Initiative und der Fokus auf die Prozessqualität ist sicher ein wichtiges Element im Bestreben des Seminars und des Themas. Nicht zuletzt geht es ja darum, wer die nötigen Schritte zu einem (Bewusstseins-)Wandel setzt oder – anders ausgedrückt – wie Innovation in unserem Bereich der Planung entsteht.
In der Folge geht es um drei Fragen: Was steht eigentlich zur Disposition? Das ist in Wirklichkeit die Vergangenheit, die Geschichte der Fabrik. Dann will ich erläutern, was umbauwerkstatt ist und anstrebt, ihre Ziele und ihre Methodik. Da geht es, Sie ahnen es, um die Zukunft des Areals. Schließlich stellt sich die Frage was in den letzten zwei Jahren seit dem Ende der Produktion, also 2009, passiert ist? Hier sprechen wir eigentlich von der Ist-Situation, also der Gegenwart.
Was steht denn da überhaupt zur Disposition?
Zur Disposition und Diskussion steht ein Ensemble aus Industriebauwerken mit einer Nutzfläche von rund 80.000 m² (das Museumsquartier Wien besitzt rund 65.000 m² kulturell genutzer Fläche), einem Bauteil, der für sich alleine fast 230 m lang ist und einer Grundfläche von fast 40.000 m².
Die Geschichte der Tabakfabrik Linz ist die einer 159 jährigen Tabakverarbeitung. Linz war dank seiner günstigen Lage und aus historischen Gründen lange der größte und modernste Standort der Austria Tabak Werke. Entworfen und errichtet von den Architekten Peter Behrens und Alexander Popp in den Jahren 1929 – 1935 – ist die Tabakfabrik einer der ersten großen Stahlskelettbauten in Österreich und gilt auch dank zahlreicher technischer Errungenschaften und der genialen Verbindung von Funktion und Ästhetik als der konsequenteste Industriebau der internationalen Moderne in Österreich. Das geschichtsträchtige und einzigartige Ensemble ist in sehr gutem Zustand und seit 1981 denkmalgeschützt.
Peter Behrens ist berühmt für seine Industriebauten der AEG in Berlin. Als Künstler und Gestalter kam er (geboren 1868 in Hamburg) erst Anfang des 20. Jahrhunderts und als Autodidakt zur Architektur. Seine Errungenschaft und Innovation ist das Schaffen von Gesamtkunstwerken – heute sagen wir Corporate Identity und Corporate Design dazu – also das Vereinen von sozialen, technischen und ökonomischen Interessen. Dabei wurde von ihm vom Bauwerk bis zur Inneneinrichtung und Typografie alles gestaltet.
Das Areal der Tabakfabrik liegt an einem neuralgischen Punkt. Durch das voraussichtliche Öffnen der bisherigen „Insel“ entsteht eine völlig neue Situation. Dieser Kontext besteht aus der Linzer Kulturmeile, dem Donauuferpark, der zukünftigen zweiten öffentlichen Nord-Süd Verkehrsachse, der Entwicklungsrichtung der Stadt zum Hafen hin und dem unmittelbaren Umfeld (Fleischmarkthalle, Schlachtbetrieb, neue Wohnanlagen). Das Areal der Tabakfabrik ist daher prädestiniert für die Rolle eines städtischen Taktmachers. Die Entwicklung der Tabakfabrik ist demzufolge Städtebau. Es bedarf bester Planung und höchster Qualität im Ergebnis. Und: Ohne einer Vision für die Stadt Linz ist die Entwicklung der Tabakfabrik nicht vorstellbar.
Was ist umbauwerkstatt ?
Ein Team aus Architektinnen und Sozialwissenschaftern rund um das afo architekturforum oberösterreich hat in Hinblick auf die Transformation der ehemaligen Tabakfabrik im Herbst 2009 die Initiative umbauwerkstatt gegründet. Es handelt sich dabei um ein Forschungslabor zur Nachnutzung der Tabakfabrik, das sich als Think Tank versteht und nötige Ideen und Entscheidungs- grundlagen von außen zutragen will. Ziel ist das Schaffen von Diskurs, Transparenz und eine auf die Qualität und Größe der Tabakfabrik maßgeschneiderte Organisation und Prozessarchitektur.
umbauwerkstatt ist unabhängig und arbeitet aus einem zivilgesellschaftlichen Auftrag heraus. Dabei geht es auch um Qualitätssicherung und die Überzeugung, dass eine derart ausserordentliche Aufgabe wie der des Umbaus der riesigen Tabakfabrik nicht aus der Routinearbeit und Verwaltung des städtischen Magistrats entstehen kann. Das ist aus Sicht der umbauwerkstatt systemimmanent und trifft mehr oder weniger auf jede Stadt zu. Auch Zürich beispielsweise wäre in so einer Situation gezwungen Leistung und Know How zuzukaufen.
Seit Februar 2010 konnten so verschiedene Formate entwickelt und von August 2010 bis Februar 2011 umgesetzt werden: Eine Serie von Salons zu Fragen der Planung und Entwicklung brachte verschiedene Interessensvertreter und die interessierte Öffentlichkeit an einen Tisch; das Symposium „Prepare!“ lud einen Tag lang internationale ReferentInnen und Erfahrung in die Fabrik, um an einem „Linzer Modell“ der Entwicklung zu arbeiten; Führungen durch die Fabrik ermöglichten 1200 Menschen ein Eintauchen in städtebauliche und architektonische Überlegungen und ein öffentliches „Archiv der Zukunft“ machte das von der umbauwerkstatt Erarbeitete und Gesammelte zu einem frei zugänglichem Ort der Wissensbildung. Insgesamt konnte sich die umbauwerkstatt in diesen zahlreichen Gesprächen und Diskussionen mit der Öffentlichkeit, den VertreterInnen der Stadt, WissenschafterInnen und der Presse als Impulsgeberin und Moderatorin positionieren.
umbauwerkstatt hat hier von Anfang an versucht – auch aufbauend auf Erfahrungen von früheren Initiativen in Linz – als Partner der Stadt aufzutreten. Diese Gratwanderung aus Partnerschaft mit der Stadt und notwendiger, konstruktiver Kritik an der Stadt hat sich allerdings schnell als nicht praktikabel herausgestellt. umbauwerkstatt plant daher ein „Reboot“ im Herbst 2011: Da der Fokus der Initiative auf die Prozessqualität sich als richtig, das Bestreben einer unbedingten Zusammenarbeit mit der Stadt aber als vorläufig nicht möglich erwiesen hat, sollen die Inhalte und Ziele gleich bleiben, die Strategie jedoch adaptiert werden. umbauwerkstatt wird also weitergeführt und dabei geschärft werden mit dem gleichen Ziel und der Vision einer „echten“ und somit innovativen und neuartigen Entwicklung aus den Stärken des Ortes, des Bauwerkes und der Menschen in der Stadt heraus.
Träger von umbauwerkstatt 2011/12 wird dabei der Verein Linzukunft sein, der als Think Tank für die Erforschung und Vermittlung von langfristigen Planungsprozessen und der Zukunft im Zentralraum Oberösterreich Anfang 2010 gegründet wurde. Eine jährliche Zusammenfassung der Ereignisse und Diskussionen sowie der Blog umbauwerkstatt.at streben nach Transparenz, tragfähiger und offener Wissensproduktion und in weiterer Folge nach einem Linzer Modell der partizipativen Entwicklung.
Was ist in den letzten zwei Jahren passiert?
Die Stadt Linz hat die notwendigen juristischen Schritte getätigt und eine Entwicklungsgesellschaft gegründet. Zusätzlich wurde nach einem Jahr eine kleine „Entwicklungsgruppe“ aus leitenden Beamten der Linzer Verwaltung (Kultur und Stadtentwicklung) zusammengestellt. Naturgemäß übersteigt die Aufgabe die Resourcen der handelnden Personen und Abteilungen.
Alles in allem, ist in diesen zwei Jahren wenig Substanzielles passiert. Zwei Exkursionen, zwei Symposien und Events haben stattgefunden, ergeben aber noch keine zielführende, konzertierte Strategie. Selbst der im September 2010 in der Tabakfabrik erfolgte Festival der ARS Electronica mit Thema „Repair“ und zehntausenden Besuchern hat bis jetzt keine inhaltliche Wirkung auf die Entwicklung gehabt, sondern scheint für die Tabakfabrik PR Gag geblieben zu sein. Nach wie vor gibt es keine Ergebnisse und breite Kommunikation der Vorgehensweise.
Ich will sie nicht länger mit diesen Defiziten und den Hintergründen belasten. Sondern sie vielmehr auf meine wesentliche Message hinweisen: Wir sprechen hier – wie eingangs erwähnt- von 80.000 qm Nutzfläche, einem architektonischen Juwel inmitten der Stadt, einem städtebaulich neuralgisch sitzendem Areal, einem Einkaufspreis von 17 Millionen Euro (20,4 Mill mit Mwst), einer voraussichtlich notwendigen 10-15 jährigen Entwicklungzeit und einer geschätzten Gesamtinvestitionssumme von über 100 Mill. Euro. Das Objekt wurde vor ziemlich genau 2 Jahren gekauft und bedarf dringenst der notwendigen fachlichen Kompetenz und einer entsprechenden, massgeschneiderten Organisation!
Dazu konnte sich die Stadt Linz offensichtlich noch nicht durchringen.
Alles deutet zurzeit darauf hin, dass die verantwortlichen Entscheidungsträger stattdessen auf einen grossen „Player“ warten, der Kraft seiner Größe Fakten schafft und Entwicklungsarbeit abnimmt. In diesem Fall wird aus Sicht der umbauwerkstatt auch das größte Kapital der Tabakfabrik verspielt, nämlich die Möglichkeit etwas Neues und Innovatives für die Stadt und aus der Stadt von Grund auf zu entwickeln! Anstatt also das leere Haus mit womöglich herkömmlichen Nutzungen zu füllen, ist die vorgeschlagene Vorgehensweise der umbauwerkstatt die einer intensiven und gemeinsamen Nachdenkphase um eine Vision für Linz und die in Wechselwirkung dazu stehende riesige Tabakfabrik zu entwickeln.
Dafür bräuchte es unseres Erachtens einer interdisziplinären Gruppe aus externen Fachleuten, die fulltime und selbstverständlich bezahlt an der Entwicklung arbeiten, um das Ganze zeitlich und räumlich zu strukturieren und um eine tragfähige (über persönliches Wissen hinausgehende) Wissensproduktion zu ermöglichen. Des weiteren bedürfte es einer grundlegenden Bekenntnis der Entscheidungsträger zu einer zukunftsweisenden und innovativen Entwicklung des Ensembles aus den Stärken des Ortes, des Bauwerkes und der Menschen in der Stadt heraus. Beides, die unabhängige Expertengruppe und diese Entwicklung bedürfen der Transparenz, der Erzählung, der Information und somit Einbindung der Bevölkerung. Die Entwicklung der Tabakfabrik ist ein interessantes, schönes und die Zukunft der Stadt mitprägendes Projekt. Das sollen alle wissen und möglichst viele mittragen können.
Zusammenfassung
Die Tabakfabrik Linz ist ein städtebauliches Thema. Ihre Größe, Lage und Geschichte macht sie zu einem wichtigen Teil der ganzen Stadt und zu weit mehr als einem architektonischen Objekt. Durch das Öffnen der ehemaligen „Insel“ entsteht eine völlig neue Situation. An der Grenze zur zukünftigen „Hafenstadt“ im Osten, ist sie prädestiniert für die Rolle eines Taktmachers. Tabakfabrik, zukünftige „Hafenstadt“ und innere Stadt stehen in Wechselwirkung zueinander. Ohne urbaner Hafenstadt gibt es keine lebendige Tabakfabrik und umgekehrt. Die Entwicklung der Tabakfabrik ist demzufolge Städtebau und ohne Vision für Linz ist die Entwicklung der Tabakfabrik nicht vorstellbar.
Es bedarf in Stadtplanungsprozessen dringend Hilfe und Unterstützung von Außen. In Anbetracht der Komplexität, der Relevanz, der Neuartigkeit dessen was da zu tun ist, müssen wir Planer (neues Berufsverständnis) unter den Bürgern Qualität einfordern und im Zusammenschluss mit der Bevölkerung Macht aufbauen. umbauwerkstatt ist die Linzer Variante im Bestreben ein Modell der Beteiligung und des konstruktiven Einmischens zu erfinden.
Die Komplexität des ganzen erfordert Teams aus den verschiedenen Disziplinen. Raumplaner, Juristen, Soziologen, Denkmalschützer, Wirtschaftswissenschafter, Organisationsexperten, Kulturmanager und natürlich Architekten müssen gemeinsam an diesem Prozess, an der Qualität des Prozesses und in Wirklichkeit an diesem Stück Stadt arbeiten.
Zum Symposium ist von Christof M. Achammer ein Buch unter dem Titel refurbished future – Werte, Ressourcen und Strukturen – ergänzen statt ersetzen herausgegeben worden. Der Beitrag über die umbauwerkstatt ist im Kapitel Politik zu finden. Die Publikation kann hier bestellt werden.