Andrea Bina: Tabakfabrik Linz – Kunst Architektur Arbeitswelt
24. September 2010 von Stefan GrohKommentierenEmpfehlenIm Katalog zur aktuellen Ausstellung (24. September 2010–23. Jänner 2011) im Nordico – Museum der Stadt Linz schreibt Andrea Bina über die Geschichte der Tabakfabrik Linz. In ihrem einleitenden Artikel beleuchtet sie insbesondere die Architektur, die Hintergründe des Baus und die historische sowie aktuelle Rolle der Tabakwerke im Bezug auf die Stadt.
Auftakt
Die Geschichte der größten und modernsten Tabakfabrik von Austria Tabak ist auch ein Gang durch die Geschichte der Stadt Linz. Die Linzer Tabakproduktion ist durch drei große Einschnitte geprägt: die Gründung der Fabrik im Jahr 1850 als Notstandsaktion in der ehemaligen Wollzeugfabrik, der „Neubau“ in den Jahren 1928–1935 durch die Architekten Peter Behrens und Alexander Popp und schließlich das Ende der Produktion als Folge der Privatisierung der Austria Tabak mit dem Ergebnis des jetzigen Leerstands. Mit dem Ankauf der Fabrik durch die Stadt Linz im Dezember 2009 tritt eine wichtige Veränderung ein: Die Politik erkennt die Notwendigkeit des Ankaufs des Areals, ein Verkauf an privatwirtschaftlich orientierte Unternehmen wird ausgeschlossen. Man besinnt sich der 159 jährigen Geschichte Linzer Tabakverarbeitung und der damit zusammenhängenden Bedeutung des Geländes und des Sozialkörpers für die Stadt.
Die Gründung der Tabakfabrik in Linz
Die Geschichte der Linzer Tabakfabrik beginnt im Jahr 1850 als eine sogenannte öffentliche Notstandsgründung (Arbeitsplatzbeschaffung). Da die seit 1668 bestehende Wollzeug- und Teppichfabrik aufgelassen wurde, suchte man nach neuen Verwendungszwecken für die riesigen Gebäude. Der östliche Bauteil wurde daher zum Ausgangspunkt der Tabakfabrik. Die übrigen Bauten dienten teils als Kaserne, teils als Lager- und Wohnräume. Heute ist von dem bedeutendsten barocken Fabrikensemble, das in der Habsburgermonarchie errichtet worden war, nur noch ein einziges Gebäude erhalten: das 1737 errichtete Zwirnerstöckl an der Unteren Donaulände. Die übrige Anlage, erbaut 1722–1726 durch den Barockbaumeister Johann Michael Prunner, wurde 1969 mangels historischen Bewusstseins abgetragen, um erst in den 1990er-Jahren Wohn- und Bürobauten Platz zu machen. Die Bevölkerung stand der neuen Fabrik in der „Unteren Vorstadt“, die vor allem Frauen Arbeit bieten sollte, anfangs skeptisch gegenüber. Der Klerus warnte vor dem sittlichen Verfall und anfangs mussten Arbeiterinnen aus anderen Fabriken (Sedletz, Iglau) nach Linz angeworben werden. Nach den ersten Jahren lief die Produktion jedoch gut an. Anfangs wurden fast nur Zigarren hergestellt, ab 1904 wurden im Zuge der Automatisierung auch Zigaretten und ab 1923 ausschließlich Zigaretten produziert. 1904 erzeugte man 42 Millionen Zigaretten, 5 Jahre später bereits 330 Millionen. Wurde die Zigarre eher im bürgerlich-urbanen Umfeld konsumiert, so war die Pfeife eher dem ländlichen Leben zugeordnet. Allerdings rang die Zigarette seit der Zwischenkriegszeit allen anderen Formen des Tabakrauchens den Platz ab. Sie ist das Signal der mit der Rationalisierung einhergehenden wirtschaftlichen und sozialen Veränderung.¹ Die Zigarette gilt als neue Zeiteinheit, sie verkörpert in der Herstellung die Automatisierung des Produktionsprozesses (Fließbandarbeit!), sie ist Zeichen für Beschleunigung und Modernität. Aufgrund der großen Nachfrage entschloss man sich 1928 für den Bau der größten und modernsten Zigarettenfabrik Mitteleuropas, nicht zuletzt wegen der guten Verkehrsanbindung von Schifffahrt, Eisenbahn und des gemäßigten Klimas.
Wohlfahrt statt Wohltätigkeit
Die Tabakfabrik war nicht nur in der wirtschaftlich schweren Zeit der 1930er-Jahre, sondern auch später als Arbeitsplatz sehr begehrt. Denn der staatliche Arbeitgeber Austria Tabak betrieb Wohlfahrt anstelle von Wohltätigkeit: Verglichen mit jenen der Privatindustrie waren die sozialen Leistungen des Betriebes vorbildlich. 1900 bestand die Belegschaft zu 90% aus Frauen. In der Kindergartenchronik ist von der Gründung einer Bewahranstalt von Kindern im Fabrikgelände bereits im Jahr 1917 nachzulesen.² In der Zeit des Nationalsozialismus befand sich der Kindergarten in einer Baracke im Areal selbst. 1950/51 wurde anschließend an das Zwirnerstöckl ein Kindergarten mit Hort errichtet. Neben dem Angebot eines sicheren staatlichen Arbeitsplatzes und den legendären Deputaten an Zigaretten bot die Fabrik weitere Attraktoren: Arbeiter- und Angestelltenhäuser wurden errichtet, ein eigener Betriebsarzt versah die medizinische Versorgung und es gab eine Betriebskrankenkasse. Der Wohlfahrtsverein verfügte über Heime für den Familienurlaub. 1943 wurde eine Betriebsküche installiert.
Die Neue Tabakfabrik Linz
Der Erweiterungsbau der „Neuen Tabakfabrik Linz“ wurde nach den Entwürfen der Architekten Peter Behrens (1868 Hamburg–1940 Berlin) und Alexander Popp (1891 St. Leonhard am Forst–1947 Linz), in den Jahren 1928–1935 bei uneingeschränkter Produktion, errichtet. Es ist der erste große Stahlskelettbau dieser Dimension in Österreich³ und einer der konsequentesten Industriebauten der internationalen Moderne. Das bebaute Areal umfasst insgesamt 82.500 qm und war die größte und modernste Zigarettenfabrik von Austria Tabak. Die neue Fabrik war auf eine Produktion von 3 Milliarden Zigaretten, 3 Millionen Kilogramm Pfeifentabak und 900.000 Kilogramm Zigaretten-Schnitt-Tabak im Jahr ausgelegt.⁴
Wegen finanzieller Schwierigkeiten im Laufe der Wirtschaftskrise fand der Neubau in mehreren Phasen statt: Der Baubeginn erfolgte 1928 mit dem 5-geschoßigen Tabakspeicher II zwischen den beiden bestehenden Speicherbauten als Stahlbetonskelettbau und erst anschließend 1930 das aufgrund der Baufluchtlinie geschwungen ausgebildete Zigarettenfabrikationsgebäude. Der Bau ist 226 Meter lang, 16 Meter breit, 28 Meter hoch und besteht aus einem Keller- und sechs Obergeschossen. Die Nutzfläche beträgt 30.000 qm, die Konstruktion besteht aus einem 3.000 Tonnen schweren Stahlgerippe. Im Frühjahr 1932 wurde noch mit dem Bau der 60 Meter langen und 16 Meter breiten sechsgeschossigen Pfeifentabakfabrik, ebenso ein Stahlskelettbau, an der Unteren Donaulände begonnen. Die weitere Bautätigkeit wurde bis Ende 1933 eingestellt. Eine Sonderfinanzierungsaktion ermöglichte dennoch den Baubeginn des zentral im Hof situierten Kraftwerkes. 1934/35 konnte auch der Ankauf der Maschinenausrüstung sowie die künstlerische Ausgestaltung des Fabrikbaues erfolgen. Nach Abschluss der Bauarbeiten an dieser ersten Ausbauphase wurde die Tabakfabrik am 12. November 1935 eröffnet. Im Westteil wurde die ursprüngliche Planung aus den 1930er-Jahren nicht umgesetzt.
Die konstruktiven Bedingungen des Bauwerks waren für seine architektonische Gestaltung Voraussetzung. Aus brandtechnischen Gründen erhielten die Mittelständer eine Ummantelung aus Kiesbeton, die Außenständer eine aus Zellenbeton. Sein hoher Isolierwert war wichtig, da in den Produktionsräumen eine Luftfeuchtigkeit von 80% bei immer gleichbleibender Temperatur gefordert war. Zudem sind für die gleichmäßige Beleuchtung der Arbeitssäle die durchlaufenden Fensterbänder Voraussetzung. Der durch die hohe Luftfeuchtigkeit und die, dem damaligen Stand der Technik entsprechenden, Stahl-Glas-Fenster bedingte Kondenswasserbildung machte an den Doppelfenstern besondere Vorkehrungen zur Ableitung notwendig. Die Lüftungsflügel der Fenster, auf deren dichtes Schließen der allergrößte Wert gelegt werden musste, sind aus Spezialprofilen hergestellt. Holz fand aus diesen technischen Gründen im ganzen Gebäude keine Verwendung. Eine Unzahl von notwendigen Leitungen und Medienführungen – die sich in ihrer Gesamtheit zu Beginn der Projektierung des Baues noch gar nicht übersehen ließ – wurden an den Außenwänden des Gebäudes in durchgehenden Montageschächten angeordnet, die vom Keller bis ins Dachgeschoss reichen. Dieses großzügige System kam in diesem Gebäude erstmalig zur Anwendung.⁵
Gesamtkunstwerk
Die Architektur, Materialien, Farben und die gesamte Gestaltung ziehen sich im Sinne eines Gesamtkunstwerkes konsequent durch den gesamten Komplex und das Erscheinungsbild des Unternehmens. Behrens gilt als Erfinder dieser heute als Corporate Design bezeichneten Strategie.
Als Grafiker, Maler und autodidaktischer Architekt hatte er dies schon in den in den 1910er- und 1920er-Jahren beispielgebend für die Firmen AEG und Hoechst gemacht. Der Neubau der Tabakfabrik ist sein letzter großer Fabrikbau und zugleich sein erster Entwurf im Sinne des Funktionalismus und der neuen Sachlichkeit. Für Popp war es der erste große Auftrag, seine Tätigkeit sollte ab diesem Zeitpunkt in erster Linie mit Industriebau in Linz verknüpft sein. Er tritt schon 1935 der NSDAP bei und wird u.a. federführend beim Bau der „Hermann Göring Werke“ 1938–43 sein. Insbesondere die Stiegenhäuser sind exemplarisch für den umfassenden Gestaltungswillen der Architekten. Hier wurde in höchster Qualität vom Bodenbelag bis zur Beschriftung (eigene Typografie) und Türgriffen sowie Beleuchtungskörpern alles „designt“. Die Qualität ist derart, dass die Elemente nach 75 Jahren immer noch verwendbar und ansprechend sind und modern wirken. Der türkise Farbton ist dabei identifikationsgebend für den gesamten Bau.
Finale
Während des Zweiten Weltkrieges blieb die Fabrik weitgehend von Bomben verschont. Ein Tabakspeicher erhielt 1943 einen Treffer, worauf die Tabakvorräte an verschiedenen Orten außerhalb von Linz in Sicherheit gebracht wurden. Am 5. Mai 1945 wurde die Fabrik von den Truppen der amerikanischen Armee besetzt, welche auch einige Gebäude beschlagnahmte. Die Arbeit in der Fabrik wurde bereits nach kurzer Zeit wieder aufgenommen. Die Kriegsschäden konnten erst 1948 vollständig behoben werden. Die Rationalisierung in der Produktion wurde durch einen ständig neuen Maschinenpark vorangetrieben: Stellte man 1936 pro Minute 1.000 Zigaretten her, so waren es im Jahr 2000 8.000 Stück pro Maschine und Minute! Das flexible Gebäude erlaubte einen entsprechenden Wandel des Produktionsablaufes. 1981/82 erfolgte die bereits in den 1930er-Jahren geplante Erweiterung im westlichen Teil des Grundstückes: Bau III mit Verwaltung, Endverpackung, Hochregallager, Bereitstellung und Verkaufslager durch das Architekturbüro Suter & Suter. Dieser jüngste Bauteil, sowie die 1969 eingebauten Magazine A und B sind die einzigen, nicht denkmalgeschützten Gebäudeteile am Areal. Im Jahr 2001 erfolgte die vollständige Privatisierung von Austria Tabak und der Verkauf der Fabrik an die britische Gallaher Group, die 2007 von Japan Tabacco International (JTI) übernommen wurde. Die Schließung der Fabrik erfolgte im Jahr 2009 durch JTI. Gegenwärtig ist der einzig verbliebene österreichische Produktionsort für Zigaretten die Fabrik in Hainburg. 2009 erwarb die Stadt Linz das Areal um eine im Sinne der Stadt bestmögliche Entwicklung zu gewährleisten. Mit der Verlegung des Ars Electronica Festivals „Repair“ im September 2010 ins Fabrikareal erfolgt die erste große Öffnung der Fabrik und somit das Ende einer abgeschlossenen Insel in der Stadt. Es ist zu hoffen, dass das Motto des Festivals für die Tabakfabrik zum Leitmotiv erhoben wird und sich die Adaptierung des Areals an neue Nutzungen in die Reihe der internationalen Erfolgsgeschichten von Revitalisierungen von Industriearealen eingliedern kann.
1 Lackner, Helmut: Die Nahrungs- und Genussmittelindustrie. Die Tabakfabrik. In: Fabriken in der Stadt. Eine Industriegeschichte der Stadt Linz. Hrsg. Archiv der Stadt Linz/Helmut Lackner, Gerhard A. Stadler. Linzer Forschungen 2. Linz, 1990. S. 241
2 Tabakfabrik Kindergartenarchiv 2010
3 Der erste in Österreich ausgeführte Stahlskelettbau ist die Sodafabrik der Solvaywerke in Ebensee.
4 Die neue Fabrik Linz. Die Neubauten und Betriebseinrichtungen der Tabakfabrik Linz. R. Kiesel, Salzburg, 1936.
5 Die neue Fabrik Linz.ebd.
Das Buch erscheint begleitend zur Ausstellung im Anton Pustet Verlag mit der ISBN 978-3-7025-0633-9.