Philippe Cabane: Kultur der Bewirtschaftung
12. November 2010 von Stefan GrohKommentierenEmpfehlenMitschrift des Vortrags im Rahmen des Symposiums prepare!
Philippe Cabane studierte Soziologie, Philosophie und Humangeographie sowie Städtebau und Raumplanung. Er arbeitet als selbständiger Berater in den Bereichen Urbane Strategien, Nutzungsentwicklung und Kommunikation. Er ist Autor, sowie als externer Dozent an verschiedenen Hochschulen in der Schweiz mit Schwerpunkt Kultur- und Sozialraumentwicklung angestellt. Cabane ist Mitinitiator, Projektentwickler und Mediator im Prozess nt/Areal Basel – Zwischennutzung von Freiräumen als selbstorganisierter Stadtentwicklungsprozess.
Die Umnutzung von Räumen und Gebäuden, nicht die Neuproduktion, ist heute wesentlich. Sowohl die Zeit als auch die beteiligten Akteure spielen dabei die größte Rolle, neben der räumlichen ist die zeitliche Dimension ausschlaggebend. Seit den 1980ern treten Zwischennutzungen vermehrt auf, anfangs subversiv und teils militant sind sie heute zumindest in der Schweiz und in Deutschland bei Stadtpolitik und Immobilienentwicklern etablierte und erwünschte Entwicklungswerkzeuge. Gerade in der Entwicklung von schwierigen Gebieten ist der Charakter des Experimentellen gesucht.
Gleichzeitig ist im Wandel von der Industrie- zur Wissensgesellschaft der Standortfaktor Kreativwirtschaft als Motor der Stadtentwicklung und Teil einer urbanen Erneuerungsphase wesentlich. Das kreative Potenzial der EinwohnerInnen wird als Schlüssel zu Fortschritt und Wohlstand verstanden. In einem Wettkampf der Städte umwerben sie die kreativen Klassen in einem regelrechten Creative Industries Hype.
Und so wird auch die Zwischennutzung als eine Siedlungsform der kreativen Klasse salonfähig. Von Pop-up Stores bis zum Freitag Tower in Zürich, der Firmenzentrale der Taschenfirma Freitag. Mit diesem Turm aus aufeinander gestapelten rostigen Frachtcontainern spielt die Firma in Guerilla Marketing Manier mit Temporarität und Trash. Dieser ist aber weder temporär noch einfacher als ein konventionelles Gebäude.
Anfänglich war die Zwischennutzung vor allem eine Gegenbewegung zu den Mechanismen der anonymisierenden Marktwirtschaft, mit einem anderen Verständnis von Handeln. Das heute sehr oft von oben initiierte Modell der Zwischennutzung unterscheidet sich im Wesen nur wenig von den Masterplänen der Stadtpolitiken und nähert sich inhaltlich immer mehr der Merkmalen der Bürgerlichen Mitte an. Aus informell wird formal, aus Privatengagement wird ein analytisches zielorientiertes Vorgehen, das Provisorische und Temporäre bleiben nur als Marketingmechanismen bestehen. Sie folgt einer Herstellungslogik, die sozial dekoriert.
Ein Grundproblem in Arealen dieser Größenordnung ist die bestehende Anonymität. Anstelle von zu benennenden bekannten Personen treten Hausverwalter oder die Stadtreinigung. Spätestens sobald die Polizei dann die soziale Kontrolle ersetzen muss ist die Situation verloren. Die Räume werden anonym von Investoren mit den immer gleichen Standards und dem Ziel des Gewinnes entwickelt und bewirtschaftet. Diese Entwicklung basiert zumeist auf Kontrolle und lockt alles andere als Kreativität an. Eine plakative Entwicklung mithilfe von Design, Architektur oder Kunst reicht eben nicht aus. Das Wesentliche bei der Entwicklung eines solchen Projekts ist nicht das Was sondern das Wie. Ein urbanes kreatives Milieu benötigt auch die anderen Berufs- und Sozialgruppen, das heißt urbane Qualität zeichnet sich immer durch eine Durchmischung aller Berufs- Alters- und Sozialgruppen aus. Sobald die Benennung des Kreativclusters fällt ist die Kreativität meist nicht mehr vorhanden. Es bleibt ein urbaner Hype wie es etwa in Zürich West der Fall ist.
Folgende Faktoren sind für eine erfolgreiche Entwicklung essentiell:
Re-Singularisation von Mensch-Umwelt Beziehungen in Bezug auf die soziale, persönliche und ökologischer Umwelt. Sobald es einen Gastgeber gibt, gibt es dort auch einen Gast, wo es keinen Gastgeber gibt, gibt es nur einen Konsumenten.
Schaffung von Möglichkeitsfeldern für soziales Kapital, das nicht wirtschaftlich sondern ideell motiviert ist. Basis für solche Möglichkeitsfelder sind Netzwerke, unbürokratische Strukturen, Selbstorganisation und informelles Handeln. Soziales Kapital wird immer wichtiger, da Wohlfahrtsstaaten immer größere Finanzierungsprobleme haben und die Bereitschaft zu sozialem Engagement durch die Möglichkeit einer kommerziellen Verwertung verloren geht.
Vielfalt
Ein nebeneinander mehrerer Arbeitsmethoden ist meist erfolgsversprechender, da die verschiedenen räumlichen und personellen Potentiale verschiedene Anforderungen haben. Genauso braucht es unterschiedlichste Formen von Trägerschaften, da es ähnlich zur Vielfalt in der Architektur mit den verschiedenen Räumen und Grundrissen auch verschiedenste Organisationsformen braucht, um die unterschiedlichen Zielgruppen bedienen können.
Und genau diese Mischung in den Zielgruppen und Nutzergruppen muss ein Ziel sein. Situatives Gestalten meint improvisierte, kreative Gestaltung mit den Mitteln des Recycling, was den großen Vorteil mit sich bringt, dass man mit wenig Kapital auskommt und gleichzeitig mit historischer Substanz kreativ umgegangen werden kann, was dem Denkmalerhalt zugute kommt.
Am wichtigsten jedoch ist das „Sowohl Als Auch“. Sowohl freie Strukturen als auch Ordnungsstrukturen, sowohl Top Down als auch Bottom Up. Eine verdichtete Form der gleichzeitigen Unterschiedlichkeit fördert Stadt, die Alternative sind Monokulturen, die alles andere als urbanes Leben sind.
Empfehlung zur Entwicklung der Tabakfabrik:
Die vorliegende Studie von Robert Bauer sehe ich als eine Diskussionsgrundlage, ich würde jedoch eine situativere und direktere Herangehensweise empfehlen. Eine jahrelange Diskussion ist sinnlos, es muss mehr über das wie als über das was nachgedacht werden. Ich empfehle daher konkret weniger eine Inhaltsdiskussion als die Schaffung der organisatorischen Voraussetzungen für eine Kultur der Bewirtschaftung. Aus meiner Sicht braucht es eine auf dem Areal ansässige Gruppe, die zwischen den Nutzern und der Stadt positioniert ist. Aus dieser Gruppe muss ein Formulierung des Prozesses erfolgen. Darüber hinaus ist ein Leitbild für die verschiedenen Gebäudeteile mit jeweils verschiedenen Zielsetzungen in der Bandbreite von Leerstandsmanagement bis Immobilienentwicklung nötig, das auf Aspekte der Denkmalpflege und der Einzelqualitäten der Bauten abgestimmt ist.
Das vorhin angesprochene „sowohl als auch“ ist in Fall der Tabakfabrik zwingend, da die Größe sowohl Platz für Experimentelles als auch für Konventionelles erfordert. Dazu braucht es einen offenen Geist auf allen beteiligten Seiten, das Ziel muss ( wie für die ganze Stadt) Diversität mit einer nachhaltigen Kultur der Bewirtschaftung sein!